Eine Ära strukturell strengerer Politik

Wir erwarten nicht, dass Zentralbanken in denIndustrieländern (DM) wie in der Vergangenheit zu Hilfe kommen werden, wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt - eine Folge einiger der schnellsten Zinserhöhungszyklen in der Geschichte bei einer immer noch hohen Inflation. Unserer Ansicht nach erleben wir den Beginn einer Ära strukturell strafferer Geldpolitik. Das bedeutet, dass der Gegenwind für das Wachstum wahrscheinlich anhalten wird - wir sehen daher eine Übergewichtung zu mehr Quality als Faktor, innerhalb der jeweiligen Anlageklassen und entwickeln unsere Meinung zu europäischen Anlagen entsprechend weiter. Die im bisherigen Jahresverlauf relativ gute Stimmung gegenüber der Region im Vergleich zu den USA stärkt unserer Ansicht nach die Argumente für Widerstandsfähigkeit durch den Qualitätsfaktor und qualitätsorientierte Sektoren. Auch bei europäischen Staatsobligationen sind wir konstruktiver und gehen zu einer neutralen Einschätzung über, wobei wir Engagements in den Kernländern gegenüber der Peripherie bevorzugen.

Während sich die Märkte unserer Einschätzung anschliessen, dass die US-Notenbank (Fed) und andere DM-Zentralbanken die Zinsen in diesem Jahr nicht mehr senken werden, sind wir der Meinung, dass sie kurz vor einem Höchststand stehen - was bedeutet, dass die Laufzeit wieder eine Rolle spielen könnte, wenn das Risiko weiterer grosser Zinserhöhungen abnimmt. Wir sehen konkrete Chancen im unteren Teil der Kurve, der tendenziell stabiler ist als Long-Duration-Engagements, die angesichts der immer noch unsicheren politischen Entwicklung höheren Laufzeitprämien ausgesetzt sind. Die Anleger haben in diesem Jahr in Zins-ETPs investiert, mit weltweiten Zuflüssen von 75,2 Mrd. USD.1 Wir halten auch inflationsgebundene Obligationen für eine gute Absicherung gegen das Risiko weiterer Inflationsüberraschungen, da wir davon ausgehen, dass der Preisdruck bestehen bleibt, und achten angesichts des schwierigen makroökonomischen Hintergrunds auf einen Qualitätsansatz bei Credit.

Chancen durch Volatilität

Wir suchen nach Chancen in Vermögenswerten, bei denen der wirtschaftliche Schaden besser eingepreist zu sein scheint - alles dreht sich um Bewertungen und darum, was unserer Meinung nach unterbewertet ist. Eine der grössten Chancen die wir sehen? Anlagen in Schwellenländer (EM). Da die Zentralbanken der Schwellenländer in ihren Zinszyklen weiter fortgeschritten sind - viele haben bereits eine Zinspause eingelegt oder mit Zinssenkungen begonnen - sehen wir politischen Rückenwind für Schwellenländeranlagen. Ein schwächerer US-Dollar begünstigt ebenfalls EM-Anlagen, während die Stimulierungsmassnahmen der chinesischen Politik zur Bewältigung der Wachstumsverlangsamung für zusätzlichen Auftrieb sorgen könnten, wenn die Wiedereröffnung an Kraft verliert. Der Inflationsdruck ist in Schwellenländern, insbesondere in Asien, weniger stark ausgeprägt. Aus struktureller Sicht sehen wir längerfristigen Rückenwind für Rohstoffexporteure aus Schwellenländern wie Brasilien. Dies ist den Megakräften zu verdanken, die die Nachfrage nach bestimmten Materialien ankurbeln dürften, einschliesslich des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, Elektrifizierung und Automatisierung.

Wir halten auch eine höhere Allokation in japanische Aktien für sinnvoll. Die Region hat in letzter Zeit von guter Stimmungslage profitiert: Im Mai flossen 1,9 Mrd. USD in in den USA und EMEA notierte japanische Aktien-ETPs, nachdem im April bereits Zuflüsse in Höhe von 1,4 Mrd. USD zu verzeichnen waren.2 Auch wenn wir der kurzfristigen Rallye japanischer Aktien nicht hinterherlaufen wollen, so zeichnet sich doch ein strategischeres Szenario ab, das von der Reform der Unternehmensführung und dem Hintergrund eines sich verlangsamenden, aber positiven Wachstums profitiert. Zwischen Japan und der übrigen DM-Region tut sich eine Lücke auf, da die USA, das Vereinigte Königreich und der Euroraum angesichts strengerer Kreditbedingungen und längerfristig höherer Zinsen mit einem unter dem Trend liegenden Wachstum zu kämpfen haben. Infolgedessen könnten japanische Aktien Anlegern helfen, die ihr Engagement in DM-Aktien diversifizieren wollen.

Nutzung der Megakräfte

Wir sind der Ansicht, dass das neue System einen neuen Ansatz für ein Gesamtportfolio erfordert. Einen Ansatz, der langfristige Themen mit traditionellen Aktien- und Anleiheklassen verbindet und gleichzeitig die privaten Märkte auf flexible Weise einbezieht. Wir versuchen, Engagements in Megathemen aufzubauen, die in diesem Jahr wichtige kurzfristige Renditetreiber waren, wie z. B. KünstIiche Intelligenz (KI), und solche, bei denen Einstiegspunkte attraktiv erscheinen.

Das Aufkommen und die weit verbreitete Anwendung von generativer KI hat die Aufmerksamkeit auf Unternehmen gelenkt, die direkt in diesem Bereich tätig sind, aber auch auf die indirekten Nutzniesser. Unser besonderes Augenmerk gilt den Halbleitern, die nicht nur von der steigenden Nachfrage aufgrund der Entwicklung der KI profitieren könnten, sondern auch von ihrer Verwendung in Cloud-Computing-Rechenzentren, Elektrofahrzeugen, dem Internet der Dinge und verschiedenen anderen strukturellen Trends. Wir gehen davon aus, dass die weitere Einführung solcher Technologien das Potenzial für Effizienzsteigerungen - und für Störungen in einigen Teilen der Wirtschaft - erhöht. Angesichts dessen sind wir der Meinung, dass die Märkte das gesamte Spektrum der Möglichkeiten noch nicht eingepreist haben.

Die Energiewende ist ein weiterer wichtiger Trend, der unserer Meinung nach die anhaltende Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen wie Kupfer sowie nach sauberen Energietechnologien antreibt. Wir sehen auch eine grosse Chance, an diesem Wandel teilzuhaben und ihn voranzutreiben, indem wir in Unternehmen investieren, die derzeit erhebliche Kohlenstoffemissionen verursachen, die aber in die Anpassung und Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, Lieferketten und Energiequellen investieren, um ihre Gesamtauswirkungen auf das Klima zu verringern.

Unsere Meinung zu Schweizer Anlagen

Wir bevorzugen Schweizer Aktien gegenüber europäischen Aktien (wo wir weiterhin untergewichtet bleiben) und sind gegenüber Schweizer Staatsobligationen neutral eingestellt, was im Einklang mit unserer Meinung zu europäischen Staatsobligationen steht.

Da die Inlandsnachfrage weiterhin robust ist, der Arbeitsmarkt stark ist und die Wirtschaftspolitik unterstützend wirkt, dürfte sich die allgemeine globale Konjunkturabschwächung unserer Ansicht nach weniger stark auf die Schweiz auswirken. Die Schweiz hat sich in diesem Jahr angesichts des globalen makroökonomischen Gegenwinds, der durch die Pandemie und den Einmarsch Russlands in der Ukraine ausgelöst wurde, bisher relativ gut geschlagen, insbesondere im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn. Dazu beigetragen hat auch die Tatsache, dass die wichtigsten Energiequellen der Schweiz die Kernenergie und die Wasserkraft sind, wodurch das Land nur in begrenztem Masse von russischen Energieimporten und Preissteigerungen bei anderen Energieträgern abhängig ist. Dennoch ist das Land nicht immun gegen die indirekten Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konflikts, einschliesslich höherer Rohstoffpreise, Lieferunterbrechungen, erhöhter Unsicherheit und der Aufwertung des CHF als vermeintlich sichere Hafenwährung, sowie der kürzlich bestätigten Rezession in der Eurozone. Vor diesem Hintergrund globaler makroökonomischer Unsicherheiten könnte die defensive Zusammensetzung des Schweizer Aktienmarktes - mit einer Tendenz zu Gesundheits- und Basiskonsumgütern - trotz relativ hoher Bewertungen und einer starken Währung, die die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte beeinträchtigen könnte, günstig sein.

Auf der Obligationenseite sehen wir nicht, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Zinsen auf das gleiche Niveau wie die Europäische Zentralbank (EZB) anheben wird, da die Inflation in der Schweiz relativ gedämpft ist und die Währung stark ist. Die Inflation hat angezogen und die Stabilitätsspanne der SNB von 0-2% überschritten, bleibt aber deutlich niedriger als in anderen entwickelten Marktwirtschaften und dürfte Anfang 2023 ihren Höhepunkt erreicht haben. Die SNB hat die Zinssätze trotz des hoch bewerteten CHF rasch wieder in den positiven Bereich angehoben, und wir gehen davon aus, dass die Zinserhöhungen in Zukunft langsamer erfolgen werden. Wir sind auch der Ansicht, dass die globale makroökonomische Unsicherheit die Aussichten auf einen weiteren Aufwärtsdruck auf die Renditen begrenzt.

Es ist möglich, dass zukunftsgerichtete Aussagen nicht eintreffen.

1,2Quelle: BlackRock und Markit, Stand: 31. Mai 2023.

Karim Chedid
Leiter des Teams für Anlagestrategie und Chefstratege für EII EMEA